Süddeutsche Zeitung vom 12. Mai 2012
Biennale konkret von Egbert Tholl
„Mystery“ ist konkret, scharf, flott – Eigenschaften, die man den beiden bislang erfolgten großen Biennale-Premieren nicht zusprechen kann.
Im ersten Teil unterhalten sich Monika Lichtenegger und Christian Hilz live und musikalisch mit ihren Spielbildern im Video. Diese sind Ikonen der Eitelkeit, es geht um Rosmarin zum Lamm, Wein, Wellness, schöne Körper und Astrologie – ein persifliertes Geplapper, dem Hilz mit seiner ironischen Präsenz und Lichtenegger mit ihrer Hagelstädter Selbstgewissheit als unerschütterliche Gesangsvirtuosen und echte Menschen gegenüber stehen. Die technische Virtuosität verschwindet, ein Streichquartett formt ganz für sich einen erratischen Block, fabelhaft gespielt, extrem lebendig, musikantisch, eine expressive Überhöhung des gar nicht so expressiven Materials von Pogatschar.
Der Diskussion über die Oberfläche menschlichen Verhaltens steht die konkrete Emotionalität der vier Musiker und der beiden herzhaften Sänger gegenüber. Am Ende entsteht aus den Fragmentierungen der menschlichen Existenz, aus leeren Silhouetten der Sänger und elektronischem Budenzauber klangklicher Art ein heiter glückliches Paar vor der Kulisse von Dubai. Die letzte hohle Sehnsucht, geboren aus dem Stakkato der Banalitäten. Herrlich bös.
Münchner Merkur vom 12. Mai 2012
Alltag in der Scheinwelt von Markus Thiel
Eine Unterwassergeburt muss sein, ein Urlaub in Dubai sowieso. Und wenn er auch noch von ihren Oberkörperreizen schwärmt, minutenlang und mit einschlägigem Vokabular, dann ist in etwa das Gesprächsniveau der Aperol-Spritz-Verkoster an der Maximilianstraße erreicht. Dabei zielt die Münchner Komponistin Helga Pogatschar bei dieser Biennale-Uraufführung, einer der „kleinen“ Produktionen, ja auf anderes, Umfassenderes: auf Sehnsüchte und Geheimnisse, auf das Durchdringen von Realität und Scheinwelt, theoretisch unterfüttert von Platos Höhlengleichnis.
Was man erlebt im Schwere Reiter, sind vor allem Szenen eines Paares. Live gesungen von Monika Lichtenegger und Christian Hilz, auf transparenten Leinwänden kommentiert, weitergeführt von ihren Video-Doppelgängern. Er: ein affektierter Gernegroß, dessen sexuelle Orientierung im Ungefähren bleibt. Sie: eine Aufgetakelte in mehreren Gestalten, die auch schon mal an Bord eines Privatjets zu erleben ist. Von der Banalität des Paarungsalltags berichtet „Mystery“, von seiner Absurdität, seiner Komik, auch von seiner Scheinwelt. Live-Gesang und das Spiel eines Streichquartetts (Joe Rappaport, Luciana Beleaeva, Gunter Pretzel, Graham Waterhouse) durchdringen sich mit Einsprengseln aus dem Computer: Eine Überblendung, die klanglich wirkungsvoller ist als die Verzahnung von Viedeo und realem Spiel (…).
Auf der Raffinesse-Skala ist Helga Pogatschars Performance „Mystery“ (Raum: Michael Bischoff, Video: Jörg Staeger) recht weit oben anzusiedeln. Ihre Experimentierfreude, die Lust an Klanguntersuchungen und musikalischer Bauklötzchenarbeit bannt über die volle 80-Minuten-Strecke.