VÖ: 2002 Intermedium Records

Text: Thomas Harlan
Musik: Helga Pogatschar

Regie: Bernhard Jugel
Stimmen: Karin Anselm, Sophie von Kessel,
Axel Milberg, Bernd Moss, Heiko Raulin, Manfred Zapatka
Produktion:
Bayerischer Rundfunk / Westdeutscher Rundfunk 2001

(1:31min – 2,1MB mp3)

1942 bis 1993: Die Geschichte der Volksdeutschen Rosa Peham, Nutznießerin des Holocausts, die mit ihrem Geliebten Józef in einer Erdhöhle auf der Asche ermordeter Juden des Vernichtungslagers Kulmhof lebt. Eine Collage des Ungeheuerlichen aus Dokumenten, Briefen, Phonoaufnahmen, Berichten und Verhörprotokollen.

Pressespiegel

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„hier mein Photo, strahlend zwölf, dreizehn, mein altes, mein Ebenbild, mein Matrose, mein Anzug, meine Bänder, meine blauen zwei, die flatternden, meine Mütze, meine goldene, meine geliebte, meine Ausnahme, mein Adler meiner Reichskriegsmarine, meine Rauten, Litzen, silbernen Winkel, meine stolzen, meine angenähten, an Oberarmen, über Schultern, meine Kordel, mein geflochten rot-weiß herabhängendes Etwas des Führers der Rotten, des Fähnleins zur See, meine See, meine dunkle, marineblaue, meine hitlerjugendliche, meine Fahrt, Fracht, meine Meilen, mein Seefunk, mein Beben, mein Blick, Gang“: Bilder aus seiner Kindheit in Nazideutschland. Der Autor ist Thomas Harlan, geboren 1929. Der zeitliche Rahmen des Romans „Rosa“ und des Hörstücks „Rosa – Die Akte Rosa Peham“ erstreckt sich von 1942 bis 1993 und spielt mit verschiedenen Erzählebenen. Dokumente, Briefe, Phonoaufnahmen, Berichte und Verhörprotokolle geben in atemlosem Stakkato ungeheuerliche Geschehnisse preis.
„Rosa“ hat eine lange Entstehungsgeschichte. „In den frühen sechziger Jahren stieß der Autor Thomas Harlan bei Recherchen über Kriegsverbrechen in Polen auf Gerüchte über das Dorf Kulmhof, an dem die Deutschen die Technologie des Massenmords mehrmals erprobten. Dreihunderttausend Menschen sind dort ermordet worden. Der Ort selbst hat sich nicht verändert; herausgerissen aus der Indifferenz des Irdischen, wuchs an ihm ein Urwald gleich einer Metaphysik des Erinnerns“, bemerkt Steffen Kopetzky in der Süddeutschen Zeitung über Harlans „Rosa“. „Der Text ist wie der ewige Moment eines präzisen Albtraums“.
Harlans „Rosa“ ist das Gegenteil einer Bilanz und alles andere als ein Fazit, der Text ist ein sprachlich-gedankliches Ringen mit einem ungeheuerlichen Stoff, mit einer Landschaft des Verbrechens: „Dort eben, wo im Herbst Steinpilze so groß wuchsen wie Hüte, sah der Waldgänger von der Atemnot des Bodens nichts; die schnellen, fast wütenden Luftzüge, die durch die saure Erde nach außen drangen, hörten nur Eingeweihte, die ihr Ohr an das Moos legten, und, wenn niemand zugegen war, den Geräuschen lauschten, die sie an Schallwellen leerer, rauschender Schneckenhörner erinnerten, und ihnen Angst einflößten.“
An diesem Ort, in Chelmo (Kulmhof) wurden in den Jahren 1941 und 1942 Leichen vergaster Juden in Massengräbern im Wald verscharrt. Als sich die Gräber hoben und zu stinken begannen, grub ein Kommando die Leichen wieder aus, verbrannte sie und zermörserte die Knochen zu Mehl.
In einem Erdloch bei Kulmhof hausen die Kollaborateurin Rosa Peham und Józef Najman. Rosa ist die ehemalige Verlobte von Franz Maderholz, dem Zahlmeister des Kulmhofs. Die Asche der Opfer füllt den Boden der Lichtung, die seit Kriegsende Rosas Heimstatt ist. Franz ist bei der Partisanenbekämpfung in den Karstgebirgen vor Triest verschollen, Rosa hat sich 1948 mit Józef liiert, seine Vergangenheit ist dunkel. Über die erste Begegnung mit den Figuren Rosa und Józef berichtet der Ich-Erzähler:
„Durch den tobenden Schnee zog sich eine Rauchfahne: Dünn und kaum von den Flocken zu unterscheiden, wehte sie am Ende der Grabstelle (…) hoch in die Luft ihre Kringelchen und entpuppte sich. Und lange noch, Blitz und Gewitter im Rücken und das stille Kriegsrecht, das auch beim Stampfen durch Neuschnee allen immer noch im Genick saß wie ein Verbot, sich zu rühren, folgten wir der Rauchsäule, die sich immer weiter vor uns und dann bis zur Unsichtbarkeit wegen der Wehen zurückzog, bevor plötzlich ein Pferd auftauchte, schneeweiß auch das Pferd, riesig, Leib und Hüftbacken vor uns mit abgetrenntem Schweif, ein Schimmel, eine Stute, die, am Ofenrohr, das aus der Schneemiete schoss, mit einem Seil vertäut als Wächterin, so schien es, vor einer Öffnung stand, welche direkt abwärts in die Erde führte zu Józef.“
Der Dokumentarfilmer als Romanautor: Harlans elektrisierende Prosa arbeitet die eigene Geschichte ab. Der Name des Vaters, des Filmemachers Veit Harlan („Jud Süß“) findet keinen Eingang in den Roman. Doch die Nähe zur Macht ist wesentlicher Bestandteil der Kindheitserinnerungen des Ich-Erzählers:
„Einsteigen in den schwarzen Horch; Chauffeur ein Frauenheld der Luftwaffe. Wortloses Fahren (nur mit dem Wort „Überraschung für dich“, kaum gemurmelt) über Königsallee, dann Kaiserdamm, Siegessäule, Linden, Unter den, in die Leipziger Straße, wo schon Personal lauerte (?), Verkäufer, Verkäuferinnen, der Personaldirektor des Kaufhauses Wertheim warteten und das Geschäft geöffnet hielten (?), den mächtigen, sechsstöckigen Koloß, in Licht getaucht schon von weit, und, dann über die leere Nachtstraße samt all der finsteren, kümmerlichen Reste einer ansonsten schlummernden Gesellschaft, die zu dieser Zeit ohne Fliegeralarm unterwegs war: Hunde, Bettler gab es nicht mehr, Milchmänner, Müllmänner, Fässer tragende Bierwagenmänner unversehens ins Tageslicht gestürzt, um schließlich dann, rasend, wie Blaulicht, stoppend, Josef, der ihnen, nur wegen mir, ich wußte es, ich war stolz, einen Schreck in die (morschen, dachte ich) Knochen hatte fahren lassen, den sie allesamt wohl nie vergessen würden. (Mich.) Ich dürfte mir bei „Märklin“ aussuchen, was ich wollte. Ich wollte die 00-Miniatureisenbahn. Drei Lokomotiven. Fünf Schlafwagen. Zwanzig Viehwagen. Ein rollendes Gefängnis. Brücke., Bahnhof (x 2). Loren. Gebirge; zu überwindende Flüsse; soldatenähnliche bleierne Bahnhofsvorsteher, Schaffner, Bahnarbeiter in Kunstharz, bunt, Sankt-Gotthard-Paß, groß, hoch wie mein Zimmer. Ich wollte ein Zimmer, aber sagte es nicht. Josef sprach mit Adjutant, herbeizitiert inzwischen, verschlafen. Ohne Adjutanten sprach Josef nicht mit Volk. Für Volk, Kaufhausetagenchef, übersetzte Schubert. Dann Heimfahrt, Lichter aus, hinter mir. Am nächsten Frühmorgen Latein. Das Gestapoauto, das in unregelmäßigen Abständen die Fehltritte des Ministers beobachtete, stand Ecke Königsallee, schwarz und still wie immer. Josef lachte es aus. Scherze waren erlaubt. Heute schlief er bis zwölf. Als ich heimkam, war mein Geburtstag. Das Bild auf dem Tisch, in Weihnachtspapier, war in Silber eingerahmt, echtes, schweres, breit wie eine Hand. Auf dem Foto stand: Meinem lieben Tommy. Dr. Goebbels.“
So scharf Sequenzen der Kindheit in Harlans „Rosa“ aufblitzen, so komplex, schwer durchdringlich und ausufernd präsentiert sich das Erzählte in seiner Gesamtheit. Harlans Darstellungen schließen nicht ab, sie sind Prozesse, bilden Stränge um Ereignisse, die von dunkelster Vergangenheit in die Jetztzeit führen. Vergangenes?
„Die Geschichte endete, bevor sie anfing. Daß zwischen Anfang und Ende nichts lag, nicht einmal Stille, und daß diese Abwesenheit, möglicherweise sogar von Schmerz, irgend etwas anderes als nichts sein könnte, wunderte nur jene, die noch nie eine Geschichte erzählt hatten, ohne zu fürchten, daß alle Wörter, derer sie habhaft geworden sein mochten, an ihrem Inhalt vorübergegangen, und dort, wo sie, über dem Abgrund stehend, wie auf Klippen und in schwindelnder Fallhöhe von der Tiefe angezogen, erstorben waren an ihrem Unvermögen, den Sturz ins Leere zu wagen“.