Hörspiel des Monats
„Die Akte Rosa Peham“ von Thomas Harlan, eine Koproduktion des BR mit dem WDR, ist von der Jury der Akademie der Darstellenden Künste zum „Hörspiel des Monats April 2001“ benannt worden.
In der Begründung der Jury heißt es u.a.:
„Der Roman „Rosa“ von Thomas Harlan, dem Sohn des Nazi-Filmregisseurs Veit Harlan (u.a. Jud Süß“), ist nicht seine einzige Publikation zu dem Thema Nazi-Nachwelt, aber die am breitesten ausgearbeitete. Der auf der Basis von dokumentarischem Material entstandene Roman zeigt die Nachwelt der Hitler-Barbarei in Deutschland in einer Art von Erinnerungs-Symbiose von Pflanzen, Tieren und schließlich auch von Menschen mit den Überresten der Opfer.
Während beim ehemaligen KZ-Bürokarten Franz die „Maderholzsche Umnachtung“ diagnostiziert wird, vegetiert seine ehemalige Geliebte Rosa im Grabbunker einer Asche-Deponie vor sich hin.
Regisseur Bernhard Jugel hat die nackte Sprache anstelle einer von Klang- und Geräuschfolien umgebenen Realisation als Medium gewählt. Die wenigen dissonanten Musik-Akzente von Helga Pogatschar fungierten ausschließlich als Kapiteltrenner. Den Szenerien des allerorts klinisch manifesten Wahnsinns bei diesem sehr wortlastigen Stück ist kaum irgendeine Diktion angemessen. Gerade deshalb wirken das schneidige Organ von Manfred Zapatka, das weichere Timbre von Heiko Raulin oder die gespielte Ratlosigkeit von Karin Anselm oder Sophie von Kessel fremdartig.
Eine Radio-Adaption, die – jenseits der politisch korrekten Botschaft eine hellere Wahrnehmung hervor zuruft beabsichtigt. Ein Versuch mit der Darstellung von der Fassungslosigkeit, mit der der Autor Thomas Harlan die Nach-Nazi-Ära dargestellt und versucht hat dem Hörer nahe zubringen.
Asche, Knochenmehl: Über das Hörstück „Rosa – Die Akte Rosa Peham“
Von Mario Alexander Weber
Thomas Harlans im Herbst 2000 erschienener Roman „Rosa“ ist die Textvorlage für das von Michael Farin bearbeitete und von BR und WDR produzierte Hörstück „Rosa – Die Akte Rosa Peham“.
Zentrum des Romans und des Hörstücks ist das nationalsozialistische Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno, in welchem mindestens 152.000, nach polnischen Schätzungen sogar über 300.000 Menschen ermordet wurden. Die Opfer, hauptsächlich Juden aus dem Ghetto Lodz und aus den Dörfern des Warthelandes, wurden in Gaswagen erstickt, ihre Leichen verbrannt. Die Knochen der Toten wurden später von einem Sonderkommando in Maschinen zermahlen, um die Spuren der Massentötung zu verwischen. „Da sagte Rosa im Wald / gab es / drei Autos die die Hölle genannt wurden“.
Aus der dichten, komplexen, nicht leicht lesbaren Romanvorlage destilliert das Hörstück eine einzige, zentrale Geschichte heraus: Die Geschichte der Volksdeutschen Rosa Peham, Nutznießerin des Holocausts. Die Titelfigur hat eine Affäre mit dem Zahlmeister des Lagers, Franz Maderholz, der sie aushält und ihr Geschenke macht. Maderholz wird jedoch 1943 nach Italien versetzt und sucht sich dort eine andere Geliebte. Rosa bleibt verlassen in Kulmhof zurück.
Die Akte Rosa Peham wird 1948 angelegt: Bei der Hochzeit ihrer Zwillingsschwester Malgorzata kommt es zum Eklat, als Rosa – unerwünscht und überraschend – in der Kirche erscheint, „in goldenem Taft gekleidet, mit Diademen im Haar und mit Schmückstücken unwahrscheinlichster Herkunft behängt“. Der geraubte Nachlass der Ermordeten, den ihr ihr ehemaliger Verlobter Franz Maderholz hat zukommen lassen, ist es, der ihre Schwester im „Blutrausch der Eifersucht“ dazu bringt, Rosa das linke Auge auszuschlagen. Rosa flüchtet aus der Kirche zur Mühle, dort, wo die Asche und das Knochenmehl der Toten in die Netze gekippt wurden. An diesem Ort hat sie in der folgenden Nacht ihre erste sexuelle Begegnung mit dem undurchsichtigen Jósef Najman. Kurze Zeit später zieht das neue Paar am Ort der Massengräber in eine Wohnung unter der Erde ein.
Als die Vernehmungen beginnen und die Vorkommnisse im Lager Kulmhof aufzudecken versucht werden, wird auch die Frage nach der Herkunft des von Rosa Peham getragenen Schmucks aufgeworfen.
Zu diesem Zeitpunkt zeigt der Zähler am CD-Laufwerk erst die vierzehnte Minute an, der Hörer hat noch mehr als eine Stunde dieser bitteren Geschichte vor sich.
Das Hörstück filtert aus dem Roman die Kernhandlung heraus. Wo dort seitenlange, verschlungene Sätze es dem Leser nicht leicht machen, die Zusammenhänge zu erkennen (nicht umsonst ist dem Roman eine Zeittafel angefügt und deren Zusammenfassung in Form eines Lesezeichens in zweifacher Ausfertigung zusätzlich beigefügt), entfalten im Hörstück die Lebensgeschichten der Rosa und ihrer Liebhaber Franz Maderholz und Jósef Najman einen Sog, dem sich der Hörer kaum entziehen kann. Gelesen wird von renommierten Sprechern und Schauspielern wie Karin Anselm, Axel Milberg oder Manfred Zapatka. Die düstere Farbe der Musik, meist mit einem Kontrabass im Mittelpunkt, um den herum sich Klavier und manch seltsame Geräuschkulisse legen, wurde von Helga Pogatschar komponiert und fügt sich zwischen den Textpassagen kongenial in den Gesamteindruck ein. Mit dem Roman in der Hand den gelesenen Text verfolgend sieht man die Komprimierung, die allerdings nicht immer als gelungen zu bezeichnen ist. Die Wiedergabe der Vergewaltigung des Jósef durch polnische Soldaten im Jahr 1984 streicht die Harlan’sche Drastik, reduziert die Episode zum Handlungsmoment und mildert dadurch die Vorlage ab. Durch die Reduzierung auf das Trio Franz, Jósef und Rosa findet auch die furiose Fäkalpassage, in der sich der Ich-Erzähler einmischt, auf dem Plumpsklo einer polnischen Kneipe sitzt und sich an den Geruch von Kölnisch Wasser in Goebbels Haupthaar erinnert, keinen Widerhall. Harlans Prosa ist stellenweise nichts für empfindsame Leser; die Auswahl für das Hörstück weiß darum.
Der Roman bietet sich durch seine Vielzahl an Textformen – Gerichtsunterlagen, Vernehmungsprotokollen, Transkriptionen, Einschüben – gerade dafür an, mit mehreren Stimmen gelesen zu werden, etwas, was das Hörstück auch aufgreift. Jedoch verwirren beim Hörstück die mitgelesenen Anmerkungen aus den jeweiligen Vernehmungsprotokollen. Wo im Roman zwischen den Zeugenaussagen in Klammern ein „schreit“ oder „hustet“ steht, wird dies von den Sprechern im Hörstück teilweise mitgelesen. Unklar bleibt, warum an einigen Stellen solche Anmerkungen in der Bearbeitung verschoben, ignoriert oder eben hörbar gemacht werden. Eher Zufall als Systematik scheint sich dahinter zu verbergen. Schade, denn man hätte ein „hustet“ auch husten lassen oder gar ganz weglassen können. Was im Roman ohne Probleme funktioniert, wird in der Hörfassung zum Versuch, die Komplexität Harlan’scher Textgestaltung eins zu eins akustisch darzustellen. Leider geht dadurch ein wenig die durch die Komprimierung vorgegebene Richtung verloren, sprich: Klarheit, Handlungsablauf, Übersicht. Etwas, was ansonsten in den meisten Fällen gut gelingt. Manch ausufernder, sich in abstrusen Nebenheiten auslassender Satz von Harlan bekommt durch die Verkürzung eine neue Dynamik, auf der anderen Seite jedoch geht der Reiz von Harlans außergewöhnlicher Prosa dadurch ein wenig verloren. Doch wäre es übertrieben, zu behaupten, dass das Hörstück nach der Bearbeitung aus kurzen, knappen Sätzen besteht, die sofort ins Ohr gehen.
Die im Roman zentrale Figur des Richard F., der durch seine Recherchen und Schriften das Geflecht der Ereignisse, Orte und Personen zusammenhält, wird im Hörstück nicht erwähnt; seine Geschichte und seine Spurensuche werden nicht thematisiert. Wenn jedoch sein Name in den ausgesuchten Passagen auftaucht, wird geschickt umformuliert, so dass sich seine Aufzeichnungen düster in das Hörstück einbringen lassen.
„Kulmhof, das Schloß, noch von Blobels Wetterkommando abgerissen, und das Dorf an der Netze, das von allen seinen deutschstämmigen Bewohnern Abschied genommen hatte, Rosa und ihre Schwester ausgenommen, waren wieder Chelmno geworden, und die Netze wieder der Fluß Ner. Wer sich den Weg vom leeren Schloßfleck weg, nach Süden, durch den Wald macht, und die Blöße erreicht, erkennt noch den Brunnen, hinter dem, nur einige Schritte entfernt, die ersten, kaum merklichen Wellen beginnen, sich kaum bewegende, leicht kräuselnde Aufschüttungen für den, der Augen für das Nichts hat – Beete von vielen hundert Metern Länge.“
Das Hörstück endet mit dem Tod von Rosa und Jósef, der einen Tag nach ihr im Juli 1992 stirbt. „Jósef hatte sie eingeholt; er hatte sie hinterlassen; sie hatte noch einmal ihre fünf Finger gezählt; sie hatte ihre Jahresringe abgelegt; sie hatte sich nichts dabei gedacht; sie hatte sich umgewendet; sie hatte sich nicht mehr geäußert; sie hatte sich von sich entfernt; sie hatte sich.“ Der letzte, lange Satz des Hörstücks, keine Musik folgt mehr auf ihn, nur noch Stille.
Es ist schwer, eine Vermutung darüber anzustellen, wie das Hörstück auf jene wirkt, die den Roman nicht kennen. Ein Zuviel an undurchdringlichen Eindrücken mag den Hörer ratlos zurücklassen – mehr Impression als Inhalt. Vielleicht aber auch nicht. Ein Aufsatz von Herbert Kapfer im Booklet der CD versucht zur Aufhellung seinen Teil beizutragen. Gleichwohl kann das Hörstück die Lektüre des Romans nicht ersetzen. Es ist die gelungene Reprise zu einem fulminanten literarischen Werk, das sich auf kontroverse Art und Weise, weitab von gängigen, zumeist klischeebehafteten Büchern, Fernsehserien oder Filmen mit der braunen, deutschen Vergangenheit auseinander setzt.