„Abstieg und Auferstehung“
Auf CD: Helga Pogatschar vertont grandios ein sumerisches Epos
EGBERT THOLL, SZ am Wochenende, Münchener Kultur, 30., 31. August 2003
Inanna, die Göttin des Kampfes und der Liebe, hat es fast geschafft: Himmel und Erde beherrscht sie. Nur die Unterwelt nicht. … …Also steigt sie hinab, begleitet von ihrer Botin Ninshubur. Die soll, falls ihr etwas zustößt, sich in Trauer hüllen und sich das Gesicht und die Schenkel zerkratzen und dergestalt künden vom Los ihrer Herrin. Einer wird ihr dann schon helfen. Sie zählt auf Enki, dem Gott der Weisheit, List und Magie.
Der Abstieg Inannas wird eine Reise in das kalte Herz ihrer eigenen Finsternis. Ihre Schwester Ereshkigal herrscht in der Unterwelt und ist von den hegemonialen Ansprüchen der nahen Verwandten wenig begeistert. Mit List erniedrigt sie sie, kämpft mit ihr, besiegt sie – „das Stück zerschlagene Fleisch hängte jemand an einen Pflock“. Wovon die Sumerer vor 4000 Jahren sangen, klingt noch heute wenig zimperlich.
Die Form dieses mesopotamischen Epos’ ist ein Rätsel, das in seiner fragmentarischen Gestalt noch nicht lange bekannt ist. Károly Koller hat versucht, es in eine halbwegs zugängliche Form zu bringen. Die Originalsprache besitzt eine rhythmische Unmittelbarkeit; die Erzählung funktioniert über Lautmalerei, über repetitive Formen. Ein Sog, ein Strudel entsteht so, ein Mythenurstrom, in dem Orpheus schon genauso treibt wie Bilder, die in der Bibel auftauchen werden.
Ein Stoff für Helga Pogatschar, die „Inanna“ nun vertont hat (Chrom Records). Pogatschar bezeichnet ihre Unternehmungen selbst als „schwer genießbar“, doch das stimmt nicht. Die Münchner Komponistin ist eine eigentlich sehr freundliche Frau mit einem Hang zur Gnadenlosigkeit. Dessen muss man sich gewahr sein. Dann treibt einen der Strom aus Elektronik, Obertongesang und Wortmagierhythmus fort. Viel zu präzis, um jemals einen Hauch esoterisch zu sein, viel zu sehr emblematische Ton-Psychologie, um den archaischen Block nicht fulminant ins Heute zu wuchten.
Für Inanna geht’s gut aus: Ihr Gatte, der ihr kaum nachtrauerte, kommt statt ihrer in die Unterwelt.
INANNA wurde von der SZ zwei mal zur „CD des Jahres 2003“ gewählt
In der „Jahresbilanz 2003“ gaben die Musik-Kritiker der SZ am 13.12.03 ihre Tipps für die interessantesten in 2003 erschienenen CDs ab:
Karl Bruckmaier empfiehlt INANNA in der Sparte „Ohrwurm des Jahres“ und Egbert Tholl empfiehlt INANNA als „Bester Musikfilm (Anmk. Kein Video, sondern Hörkino)“.